Jörg Sasse - Texte
[ Start ]
[ Texte ]




'Homebase' Katalogbeitrag

Der Katalog erschien zu den Ausstellungen 'Homebase' in der Kunsthalle Nürnberg und dem Kai 10 | Arthena Foundation in Düsseldorf.

Waschbecken, Tischdecken, Zimmerpflanzen, Türgriffe, Elektrokabel, Hängeleuchten, Tapeten, Vorhänge, Porzellanfiguren, Polstermöbel, Heizkörper, Treppenläufe und immer wieder Kacheln: Seit 1983 fotografiert Jörg Sasse – zunächst analog, später auch digital – in privaten Wohnräumen. Seine Aufnahmen zeigen das, was uns alltäglich umgibt: die Welt der profanen Dinge, mit denen wir leben und mit denen wir uns einrichten. Auf den ersten Blick erscheinen die Motive wie zufällig vorgefundene, vom Alltag komponierte Szenerien. Ein zweiter Blick zeigt jedoch die Komplexität des Bildaufbaus: Jedes Motiv erscheint, auch wenn Anschnitte nach außen existieren, als ein geschlossenes System. Jörg Sasse zeigt den unerschöpflichen Kosmos an Alltagsobjekten und architektonischen Details in reduzierten, bisweilen nahezu abstrakten Kompositionen. In seinen fotografischen Verdichtungen gewinnt jedes Detail, jede Farbe, Form, Struktur und Stofflichkeit Bedeutung, und die vertrauten Objekte, über die unser Blick im Alltag ohne Stolpern streifen würde, erhalten durch den eng gewählten Bildausschnitt eine nahezu ikonische Präsenz: Sie werden zu Protagonisten, zu Bühnenstars. Die inzwischen mehreren Hundert Aufnahmen aus privaten Wohnräumen bilden – gemeinsam mit Fotografien von Schaufenstern und aus öffentlichen Gebäuden – eine über drei Jahrzehnte fortgeführte Werkgruppe, die Jörg Sasse mit dem Gattungsbegriff „Stillleben“ überschreibt. Während diese Serie ausschließlich eigene Aufnahmen umfasst, nutzt Sasse in anderen Werkgruppen – seinen „Tableaus“, den „Lost Memories“ und „Speichern“ – auch vorgefundene Amateuraufnahmen, welche er über Internetauktionshäuser, auf Flohmärkten oder auch im Kontext von Wohnungsauflösungen erwirbt und am Computer bearbeitet. Jörg Sasse, der sich als bildender Künstler sieht, der das Medium Fotografie für seine Arbeit nutzt, stellt in seinem konzeptuellen Umgang mit dem Bild die Frage nach dem Verhältnis zwischen Fotografie und Realität, nach der Konstruktion von Erinnerung und nach der Veränderbarkeit der Wirklichkeit durch die Fotografie. So sind alle digital vorgenommenen Veränderungen nicht als Manipulation des Urbildes zu sehen, sondern stehen für eine Weiterentwicklung der ursprünglichen Fotografie hin zu einem in Farben, Formen und Korrespondenzen eigenständigen, neuen Bild.

Harriet Zilch, 2016


Link zur Ausstellung