Allegorien des blinden Flecks |
Katalogbeitrag zur Arbeit von Jörg Sasse bei der Ausstellung 'Unschärferelationen' im Freiburger Kunstverein |
Zu den neueren Bildern von Jörg Sasse Jörg Sasses Bilder der letzten Jahre sind digital, das heißt am Rechner veränderte Fotografien; vorgefundene, fremde Fotografien, Aufnahmen von Amateuren. Als bildbearbeitete Dokumente bestehen sie aus Millionen von 'diskreten' Elementen, Pixel, zwischen denen sich jeweils ein Nichts befindet. Allein ihre alles überwältigende Gesamtkodierung scheint ein kontinuierliches Bild - wie es der Malerei und selbst der traditionellen Fotografie (obwohl diese technisch sogar viel gröber arbeitet) selbstverständlich ist - zu erzeugen. In Wahrheit gehen diese 'Abgründe' aber sehr viel weiter. Als im engeren Sinne stets 'kalkulierte' Bilder findet man in ihnen, daß sie aus dieser Unzahl von blinden Flecken zusammengehalten werden. Genau dies geht in den Arbeiten von Jörg Sasse vom Pixel bis in die gesamte Komposition des Bildes ein - und unterscheidet sich damit grundlegend von anderen digital bearbeiteten Bildern. ![]() In gewisser Weise stehen digital bearbeitete Bilder jenseits von Malerei und Fotografie. Sie verfügen über Möglichkeiten von beiden Medien, ohne das eine Festlegung nötig erscheint. Bildbearbeitungen wie sie Jörg Sasse vornimmt sind aber ihrer Disposition nach immer auch Montagen - und als solchen wohnt ihnen ein latent ein allegorischer Charakter inne. Nicht nämlich die Aussagekraft und die Bedeutung des Motivs spielen die bildführende Rolle, sondern das Bild als Ganzes erhält sich permanent eine neue Dimension: es erzeugt errechnete 'Unsichtbarkeiten'. In der Hecke (4140, 1999) überraschen der aquädukthafte Schnitt der Hecke und die symmetrisch verteilten Kuben darüber. ![]() Auf dem Bild mit den Lampen am Meer (8144, 1998) fallen zunächst die hohen, leuchtenden Laternen bei Tageslicht auf. Überdies strahlen diese Lampen nur intensiv in ihren Glaskugeln und nicht auf den Weg, was ihnen - wie beim Haus im Grünen - eine magische Ausstrahlung gibt. Aber die Situation vor der Düne wird zunehmend 'verrückter' nimmt man die Stellung der Lampen wahr. An dem vorgeschobenen Übergang des Platzes sollten wohl drei Lampen jeweils parallel angeordnet sein, jedoch springt die vordere rechte förmlich aus Reihe und durchbricht diese Ordnung. Dagegen ist ein zusätzlicher vierter Laternenpfahl in den unmittelbaren Vordergrund gerückt - und nimmt damit optisch die vordere Reihung auf. Die auf den ersten Blick klare Situation spaltet bei näherem Hinsehen den Blick des Betrachters förmlich auf. Die linke Lampenreihe liegt beinahe auf einer Linie hintereinander gestaffelt, während die rechte Reihe die Perspektive weit öffnet. Dieser Effekt wird als durchaus natürlich wahrgenommen - obwohl oder gerade weil ihre Stellung nicht korrekt ist. Sasse läßt aber die Pfähle nicht willkürlich springen, denn die Höhe jeder Lampe entspricht zum Beispiel exakt der Höhe ihres gegenüberliegenden Pendants. ![]() War dem Geflecht der Pixel eine abgründige Verbundenheit zugeschrieben worden, der 'Montage' der Bildbearbeitung ein allegorischer Sinn im Hinblick auf das Bildganze (abseits vom Sujet), so verdeutlicht das nähere Hinsehen des Gesamtbildes, wie sich aus dem selbstverständlichen Motiv eine Reihe von Verstrickungen von Raum und Gegenstand, Welt und Wirklichkeit ergibt. Gerade weil Details irreal betont werden, ist das gesamte Bild, das aus dem geläufigen Alltag der Amateurfotografie entrissen wurde, gefragt. Insofern kann man davon sprechen, daß Sasse die Gegenstände auf eine bestimmte Art 'verschwinden' läßt. Denn was man noch zu erkennen vermag (Haus? Lampe?) entzieht sich schon im Akt des Benennens dem geläufigen Wissen. Das meint Allegorie in diesem Fall, wenn daraufhin das Bild seine wirkliche Unwirklichkeit in eine Offenheit des Sehens am Bilde überführt. Fotografie, die einmal die Malerei verlassen hatte, findet in ihrer digitalen Bearbeitung zu einem Bild zurück, für das die Gegenwart noch kein Wort besitzt. Das ist magisch und vernünftig zugleich - und nur dies war hier ins Auge zu fassen. |
Andreas Kreul, 1999 Link zur Ausstellung |
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