Die Gesamtretusche |
Erschienen im Kunst-Bulletin, September 1996, anläßlich der Ausstellungen von Jörg Sasse im Kölnischen Kunstverein und in der Kunsthalle Zürich. |
Es gibt zwei Arten, die Bilder von Jörg Sasse zu betrachten: entweder man weiß ungefähr, wie sie entstanden sind und was mit ihnen geschehen ist oder man weiß es zunächst noch nicht. Gehört man dann jedoch einmal in den Kreis der Wissenden, ist es kaum möglich, wieder in den Betrachtungsgenuß des Unwissenden zu finden. Fast sehnt man sich zu jenem Moment zurück, in dem man die Bilder zum ersten Mal sah und nur ihre Seltsamkeit spürte, eben ohne zu wissen, wo die kleinen Geheimnisse und Fallen liegen. Lediglich die Ahnung zu spüren, daß hier die digitale Bildbearbeitung am Werke war, ist viel schöner als die Gewißheit darüber. Gleichwohl ist es faszinierend, ins Detail zu gehen: Der rote Strandkorb rechts wurde nach unten versetzt, der Vogel im Himmel von links nach rechts verlegt, störende Menschen aus der Wasserlinie entfernt. Der Junge in der blauen Badehose, genau der in der Mitte der Gruppe, ist geschärft, ebenso der Gürtel in dem Flugzeugbild. In der Allee fehlt ein Haus, die gelbe Spitze des Kanus wurde nach oben gezogen, der grüne Rasen nach unten und alle Beschläge der Boote verschwanden. Der rasende Käfer mit der Nummer 96 fährt nun mit geschärftem Kotflügel, die Dame aus den Alpen steht dafür mit einem höchst unscharfen Gesicht da und in einem anderen Alpenbild wurden die Farben neu gemischt. Auch im Rot des Hemdes veränderten sich die Pixel, ebenso im Grünbraun der Landschaft mit der einsamen Brücke. Und obwohl die Steine im Wald ganz normal ausschauen, hat die eine oder andere Kante nichts mehr mit den Steinen zu tun, so wie sie irgendwo im Wald liegen. Auch die äste der Tannen im Hintergrund wurden klarer. Der Mann mit dem Gipsbein ist völlig verschwunden, sagt Sasse. Vielleicht war er auch nie da. Dies ist nur ein kleiner Auszug aus der langen Liste der Dinge, die den Bildern geschahen. Aber genau diese Dinge, die den Bildern genommen oder gegeben wurden, machen ihren besonderen Gehalt aus. "Da brach das Bild zusammen, hier war es unmöglich", sagt Jörg Sasse einmal, als er eine seiner vielen kleinen und großen Korrekturen erläutert. Und implizit bedeutet dies, daß es nun, nach dem Eingriff, hält und nicht mehr zusammenbricht. Sehr oft sind es zwei, drei Hauptlinien, die sich durch die Bilder ziehen. Meist eine oder zwei klare horizontale und eine bis zwei, drei leicht diagonale Linien, die zuweilen etwas geschwungen wie eine Diagrammkurve erscheinen. Diese wenigen eher langen Linien liegen wie ein abstraktes Gitter über dem Bild und geben wiederum die Grenzen der Flächen an. So wird das Bild weniger durch seinen Inhalt, als mehr durch seine Aufteilung gehalten. Die gezogenen Linien sind dabei in den übergängen zuweilen etwas unscharf, aber ihre Unschärfe ist von jener Art, daß man dahinter die Schärfe vermutet. Es scheint, als ob der Objektivring am menschlichen Auge nicht ganz korrekt eingestellt ist. Die Brennweite erfaßt die Linien nur schwammig, aber dafür das eine oder andere Detail um so klarer. Und was mit den Details funktioniert, scheint vom Auge an das Gehirn gemeldet zu werden, müßte doch eigentlich auch mit dem Rest des Bildes machbar sein. Der Beweis wird quasi jeden Moment erwartet, jeder Autofocus eines billigen Camcorders schafft das innerhalb weniger Sekunden. Der Betrachter versucht noch durch die Veränderung der Distanz zwischen sich und dem Bild eine funktionierende Optik herzustellen, immer wieder angestachelt davon, daß kleine Partien im Bild existieren, wo dies gelingt. Doch bezogen auf das Gesamtbild scheitert er letztendlich. Er registriert sein Scheitern und ist gleichzeitig bereit, es hinzunehmen. Denn eigentlich scheitert er gar nicht, sondern erhält lediglich eine etwas andere zweidimensionale Darstellung von Räumlichkeit und zuweilen auch Bewegung geboten. Sasse konstruiert wahrlich neue Bildräume. Neu sind sie, da keine Kamera solche Fotos in solchen Schärfebereichen und kein Film Farben in solch einem gleichzeitigen Spektrum aufnehmen kann. Erst die Bearbeitung der Pixel macht diese Bilder möglich. Nicht eine sichtbare Realität vor der Kamera gelangt dabei auf den Negativfilm, sondern eine Computer-Datei. Das Ergebnis ergibt ein Foto, jedenfalls etwas Belichtetes auf Papier. Doch dies, wiederum fotografiert, läßt sich kaum im Druck reproduzieren. Die Bilder erscheinen im kleinen zwar ebenfalls interessant, aber völlig anders als im großen Original. Die wie messerscharf geschnitten wirkende rote Hemdfläche im Flugzeugbild erzeugt diesen Eindruck im Original, aber nicht in der Reproduktion. Und so manche Unschärfe wird im Druck fast schon wieder gestochen scharf. Sasse verwendet dabei die Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung scheinbar behutsam. Tatsächlich sind es jedoch erhebliche Veränderungen, die allerdings nicht nachvollziehbar sind, da das Ausgangsbild nicht gezeigt wird. Er räumt die Bilder, meistens Amateurfotos, auf. Er befreit sie von eben ihrem amateurhaften Ballast, bestimmt ihren Ausschnitt, prüft ihre Farbigkeit, ordnet die Blicklinien. Er macht jenes, wozu der Amateur nicht in der Lage war, es der Fotograf aber sehr wohl ist, und fügt noch die Feinarbeit des Künstlers hinzu. Spätestens hier könnte die Behauptung gewagt werden, daß er kein Fotograf mehr ist, sondern ein moderner Maler, genauso wie Turner, wie Jeff Wall und Godard. Hat er auf dem rotem Hemd gemalt, oder im Bergmassiv? Denn dort läßt sich einwandfrei etwas ausmachen, das man Pixelstrich nennen könnte. Und mit diesem Pixelstrich läßt sich das Werk immer wieder aufs Neue übermalen, eine neue Seltsamkeit herstellen, die Pixel wieder so mischen, daß ich spüre, hier hat jemand ein Bild geschaffen, daß zuerst nur in seinem Kopf gesehen wurde. Und so wie früher die Fixierung dieses Bildes via Farbe, Pinsel, Leinwand geschah, passiert sie heute mittels Maus auf Monitor. Dabei läßt sich feststellen, daß diese Methode erheblich mehr Freiheiten besitzt als die um den Kunstanspruch ringende Fotografie. Nicht der Künstler am Computer wird von der Maschine und ihren Möglichkeiten dominiert, sondern der Fotograf wird von den technisch doch eher bescheidenen Kapazitäten von Kamera und Dunkelkammer gegeißelt. Aus genau diesen Zwängen hat sich Sasse als einer der ersten Fotografen tatsächlich befreit, indem er nicht nur hier und da ein wenig am Bild herummanipulierte, sondern die Methode der digitalen Bildbearbeitung als ein Ganzes zur Bildherstellung begriff. Seine Bilder sehen eben nicht wie fotografierte oder in den Surrealismus gedehnte Motive aus, auf ihnen ist nicht das geringste gefälscht, sondern alles ehrlich mit Maus und Tastatur erschaffen. "Ohne Zweifel ändert sich durch die Maschine Computer der Blick auf Vieles", schrieb Sasse neulich, "doch wenige der aufgeworfenen Fragen sind neu - vielleicht war es früher weniger populär sie zu stellen." Ob die Malerei nicht fälscht, hat tatsächlich lange keiner mehr gefragt. Und auch nicht, ob sie vielleicht gefährlich sei, was die Realitätswahrnehmung der Menschen angeht. Im Zusammenhang mit Bildern aus dem Computer dagegen sind diese Fragen an der Tagesordnung. Die Bildfälschung, der Prozeß am Rechner, ruft fast mehr Interesse hervor als das Bildergebnis. Einige wenige Bilder von Jörg Sasse zeigen monochrom farbige Vorhänge. Plastisch gewellte Flächen, bei denen nur noch ratend vermutet werden kann, an welchen Stellen, auf welchen Feldern hier etwas geschah. Der Vorhang scheint die neuen Bilder zu zelebrieren, noch wird eben das öffnen des Vorhanges bestaunt. Sasse hat dagegen schon ein wenig von dem geschaffen, was hinter dem Vorhang liegt. |
Christoph Blase, 1996 Link zur Ausstellung |
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